An preußischen Straßen in die Moderne

4. An preußischen Straßen in die Moderne

Die Besiedlung des Oberdorfs, wie wir sie heute kennen, hat sich weitgehend nach und aus dem Brand Schmallenbergs 1822 entwickelt bzw. durch die daraus resultierende Geldnot und dem wirtschaftlichen Desinteresse der Bürgerschaft Schmallenbergs an den traditionellen Hudegebieten. Eine Ausnahme bildet der Hof Lingemann-Schmitte. Er wurde von Holthausen aus (neu?) besiedelt 1832 (+ - 1 Jahr). Mir scheint, dass sich dieser Hof aber eher aus der Geschichte Haffenrhodes erklären läßt. Da der 1. Hofherr (Johann Theodor Friedrich Lingemann-Schmitte *04.04.1781 Obersorpe, +22.07.1843 Gleidorf ) - in den Steuerlisten als „Ackersmann“ bezeichnet wird, handelt es sich auch nur um einen halben Hof, während Teipel als Kötter nur einen viertel Hof bewirtschaftete. Wenn für Gleidorf Bauernhöfe genannt werden, so handelt es sich um die Höfe in Niederwinkhausen, die ihren Ursprung in Gleydorp hatten. Als Beruf und Stand wird in den Grafschafter Kirchenbüchern für Gleidorfer sehr häufig „Kötter“ an zweiter Stelle angegeben. Die richtige Bezeichnung wäre „Häusler“ gewesen, aber es sollte wohl auf die Bedeutung der Nebenerwerbslandwirtschaft hingewiesen werden. Gegenüber den „reinen“ Knechten und Tagelöhnern bedeutete der Besitz eines „Häuschens mit landwirtschaftlich nutzbarem Grund“ einen sozialen Aufstieg.

Der Boden des Oberdorfes gehörte nach der Säkularisation (1804 – 1816) nahezu ausschließlich der Stadt Schmallenberg, Bürgern der Stadt Schmallenberg, Nückel gen. Becker zu Winkhausen und Freiherrn Fürstenberg zu Adolfsburg. Katastermäßig gehörte er zu Oberkirchen, Schmallenberg, Grafschaft, Sorpe/Holthausen und Isingheim (Grundbuch Meschede). Dabei handelte es sich vorwiegend um quadratische Flächen, die im Gemenge (d.h. jeweils andere Eigentümer bei gleicher Nutzung) lagen. Die Urform von landwirtschaftlich bewirtschafteten Flächen ist nach Albert Hömberg das Quadrat, sofern die Topographie dies zulässt. Quadratische Flächen dürften demnach diejenigen sein, die als Lehen, Besitz oder Eigentum ursprünglichen Charakter haben. Sie lassen sich im Urkataster von 1830 noch gut erkennen. Durch Bahn- und Straßenbau, Erbteilung und Verkauf ist dieses typisch ursprüngliche Landschaftsbild nur noch in Rudimenten zu erkennen.

Für die Erhebung und Weiterleitung statistischer Daten an die Ämter waren – bis ca. 1870 – die Pfarrherren zuständig, danach die Lehrer, mancher ehemalige Schüler erinnert sich sicher noch an die Viehzählungen, die die Schüler im Auftrag des Lehrers auch nach dem 2. Weltkrieg noch durchführen mussten.

Da es in Gleidorf zwei Volksschulen gab, teilte sich der ev. mit dem kath. Lehrer die Aufgabe. Trennungslinie war, vom Bahnhof ausgehend, die Franzstraße, während im Denken der Bevölkerung Kirchstraße und Kreuzung die Grenze bilden.

Der Rat der Gemeinde Grafschaft beschloss 1930 die Einführung von Straßennamen für Gleidorf. Auf Postkarten vor dieser Zeit wird dem Zusteller durch die unautorisierte - aber richtige - Bezeichnung „Fredeburger Straße“ geholfen. Heute orientiert sich die Bevölkerung weniger an diesen „Ortsteilen“ - eher an den Straßennamen - zu denen ihr Grundstück gehört. So ist das Bewusstsein für die Zusammengehörigkeit der Baugebiete, die einen gemeinsamen geschichtlichen Ursprung haben, geschwunden.

Die Heidenstraße, die seit urdenklicher Zeit vor dem Anstieg auf den „Hügel“ die Gleier quert, erhielt dort 1810 eine Brücke. Die Kunststraße (Altenhundem – Winterberger Straße ) über: Schmallenberg, Gleidorf, heute  B236, wird in einer preußischen Verordnung vom März 1839 geregelt. Das Teilstück Gleidorf Kreuzung bis Vogelstange Schmallenberg wurde 1838 fertiggestellt. Die Maut wurde in Gleidorf erhoben. Weitergebaut bis Oberkirchen wurde 1847. Somit wurde die direkte Verbindung zwischen dem Hammer ( heute am roten Hagen ) und Kohlenmesser und Kötter Teipel durchtrennt. Zunächst wurde die Trasse der Heidenstraße über Oberkirchen – Nordenau – Altastenberg bis Winterberg weiter genutzt und wohl auch favorisiert. Wegen der enormen Steigung kam es aber zur Wegeführung über den Böhmerhüttenplatz (Albrechtsplatz), dort traf die „B 236“ auf die Berleburger Kreisstraße, die bis Neuastenberg führte. 1854 wurde die dann von Altenhundem bis Winterberg durchgehende Straße zur Provinzialstraße. 

Vor dem Bau der Chaussee im Gleiertal führte der Weg nach Fredeburg von der Kreuzung (heute Kirchstraße) über die Robbecke – wohl am Gleidorfer Kreuz vorbei rechts auf die Höllern, links zur Fredeburger Landwehr. Die Grundstücke an bzw. auf der Robbecke waren also von oben herab zu erreichen.

Die Straße „An der Gleier“ hatte als „Vorgängerin“ die Schulstraße, die zwar über das Haffenrath nach Holthausen führte, aber ab Kortmann eine Verbindung zu dem oben erwähnten Weg zur Vogelstange gehabt hat, dieser Weg verlief oberhalb (hinter den) der Häuser(n). „Das Haus Klein sei auf diesem Verbindungsweg errichtet worden, wodurch der neue Weg „zur Vogelstange“ das Grundstück Schauerte zerschnitt“, wurde überliefert. Straßen- und Wegerechte waren schon immer ein Zankapfel, da privater Landbesitz – in seiner heutigen Bedeutung – erst 250 Jahre alt ist, und und auch noch später Wege einfach nach Bedarf über die Grundstücke „getrampelt“ und „gefahren“ wurden.

Die Wennestraße (heute B 511) zwischen Freienohl und Gleidorf wurde ab 1834 bis 1840 gebaut. In Gleidorf wurde das Wegegeld erhoben. 1850 findet im Barrierehaus Döpp die Versteigerung von Straßenbauarbeiten an dieser Provinzialstraße statt. Etwa in diese Zeit fällt auch die östliche Grenzänderung des Oberdorfes Richtung Fredeburg.

Drei Ursachen dürften gemeinschaftlich dafür gesorgt haben, dass die Grenze von der Wehrscheid und dem Holthauser Weg (Heiligenhäuschen – Gleier – durch die Felder – Golfplatz – Winkhausen) zwischen die Häuser Wiese (An der Gleier Nr. 40) und Haus Vogt (Gleierbach) verlegt wurde:

 

  1. 1843/44 wurde das Großamt Fredeburg (seit 1810 existent) aufgeteilt in die Ämter Schmallenberg und Fredeburg.
  2. Zur Zeit des Kapellenbaus veräußerte die Familie Lingemann-Schmitte Boden gleierabwärts vom Holthauserweg, die neuen Eigentümer konnten die Ländereien damals noch in die Gemarkung ihres Wohnortes aufnehmen lassen.
  3. 1856 wurde die Wollspinnerei Hengsbach und Siepe „zwischen Huxel und Gleidorf unterhalb der Chausse“ angelegt. An dieser Stelle könnte vorher bereits einmal eine Sägemühle bestanden haben.

Im ständigen Zusammenspiel von Wirtschaft und Politik dürften alle drei Gründe gemeinsam gewirkt haben, obschon die Gemeinde Oberkirchen Grenzverschiebungen an der Gleier ( auch im Unterdorf ) bis 1900 rückgängig zu machen suchte.

 

Gleidorfer Flurnamen

 

 Katasterkarte Gleidorf um 1860

 Diese Katasterkarte mit den Gleidorfer Flurnamen entstand um 1860. Das Quernbed wird hier „in der ilsenbeck“ genannt. Es ist die erste Karte, die Gleidorf als zusammenhängendes Gebiet – aber auch als Enklave zeigt. Trotzdem verbleiben die Grundstücke in den Gemarkungen der umliegenden Orte.